Mein Finanzamt ist besser!
aus der Feder von Jörg Benecke,
Vorstand der Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere, Wolfenbüttel

"Seit der Gründung der Firma waren wir über Generationen Kunde bei der Sparkasse. Einer der ältesten Kunden überhaupt - wir haben die Kontonummer 364. Aber jetzt ist Schluß! Ich werde die Bank wechseln." So wetterte vor einigen Wochen ein Sammler, mit dem ich auch persönlich befreundet bin. Was ich von ihm gehört habe, ist in der heutigen Bankenlandschaft leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Vor fast 10 Jahren eröffnete ich für unsere USA-Einkäufe in Amerika ein Bankkonto. Als gelernter Bankkaufmann (wenngleich meine Lehrzeit 30 Jahre zurückliegt) verstehe ich davon noch ein bißchen. Damals  war ich entsetzt. Das Schalterpersonal der heutigen Bank of America: Dumm wie Graubrot. Von wegen USA und Dienstleistungsgesellschaft. Alles nur Fassade, nichts als ein einstudiertes Retorten-Lächeln, mit dem die Inkompetenz kaschiert werden soll. Die Einreichung eines an einen Kollegen ausgestellten und von ihm an mich indossierten Schecks auf das Konto scheiterte. Nicht einmal der Filialleiter wusste, was ein Indossament ist. Für mich stand fest: Das wäre mir bei uns in Deutschland nie passiert. In den folgenden Jahren aber mußte ich in der deutschen Bankenlandschaft eine Entwicklung mitverfolgen, bei der mir regelmäßig die Spucke wegblieb. Daß eine ganze Branche ihre gesamte  Kompetenz im Markt in solcher Geschwindigkeit mutwillig verspielt, dafür gibt es in der Wirtschaftsgeschichte kein Beispiel.

Seit meiner Lehrzeit spiele ich mit drei Lehrkollegen von damals noch regelmäßig Doppelkopf. Da beschwerte ich mich letztes Jahr in trauter Runde, was sich mein ehemaliges Lehrinstitut gerade mal wieder unmögliches geleistet hatte. "Was willst Du denn?" antwortete einer meiner dort immer noch beschäftigten Freunde, "Die Bank ist so mit sich selbst beschäftigt, Kunden stören da nur." Und er hatte das bitter ernst gemeint.

Bevor ich 1987 mein Hobby zum Beruf machte, hatte ich auf dem Weg vom Banklehrling zum geschäftsführenden Gesellschafter einer Maschinenfabrik schon einiges gemacht, aber eines hatte ich bis dahin nie gelernt: Verkaufen. Bis heute ist das für mich das Faszinierendste an meiner Arbeit: Jeden Tag neue Erfahrungen machen, was man alles anstellen kann und muß, um etwas zu verkaufen. Welche Drehung an welchen Stellschrauben welche Auswirkungen hat. Warum etwas, von dem man todsicher überzeugt war, völlig in die Hose geht. Warum eine andere Sache völlig unerwartet ein echter Brüller wird.

Weil ich es nie gelernt habe, war und ist das für mich eine besonders intensive Erfahrung, bei der ich mir im Laufe der Zeit auch viele Beulen geholt habe. Scherzhaft pflegen wir heute in der Firma zu sagen: "Unser größtes Kapital ist nicht das Wissen, was geht, sondern das Wissen, was man besser bleiben lassen sollte." Und weil Verkaufen für mich eine völlig neue und intensive Erfahrung war, fing ich unwillkürlich an, unter diesem Aspekt auch meine Umwelt zu beobachten. Auch und vor allem die Banken. Verstand mein Gegenüber, wie ich als Kunde behandelt werden wollte? Existierte überhaupt eine Ahnung, was verkäuferisches Handeln ist? War die Beziehung zum Kunden aktiv oder nur reaktiv? Wie stand es mit Kompetenz und Kompetenzen? Sie werden es nicht glauben: Noch in den 90er Jahren fand man in deutschen Kreditinstituten Kundenbetreuer, die dabei gar nicht so schlecht aussahen. Heute gibt es sie nicht mehr. Eine Drittel ist im Vorruhestand. Ein weiteres Drittel, das dafür noch zu jung war, wurde mit immer neuen Bürokratismen rausgeekelt und hat sich beruflich umorientiert. Das letzte Drittel schwankt noch zwischen Resignation und Hoffnung.

Und das alles unter dem angeblich unausweichlichen Druck globalisierter Kapitalmärkte, aus Angst vor dem Verdikt der Ratingagenturen und vor einer ziemlich inkompetenten Finanzmarktaufsicht, und nicht zuletzt unter dem Deckmäntelchen von Basel II. Die ganze Branche ist sich einig, daß man unter solch einschüchternden Rahmenbedingungen doch gar nicht mehr die Freiheit hat, Erfolge am Markt zu versuchen. Und so werden die Chancen, die der Markt auch in Deutschland bietet, in seltener Einmütigkeit verschlafen. Statt dessen übertrifft man sich, und damit bin ich wieder bei meiner Einleitung, im Kundenvergraulen. Mal ganz ehrlich: In puncto Kundenorientierung übertrifft mein Finanzamt auf dem Rübenacker in Wolfenbüttel inzwischen die eine oder andere Bank, die ich in jüngster Vergangenheit erleben durfte.

Alles, was wir im Finanzgewerbe im letzten Jahrzehnt an neuen Regulierungen und Aufsichtsvorschriften bekommen haben, vor allem Basel II, ist hirnloser Schwachsinn. Unsummen an Geld und produktiven Kräften wurden in bankinterner Bürokratie gebunden. Auf der Seite des Marktes fehlten diese Ressourcen dann, und so verkam der Kunde zu einem eher lästigen Wesen und der Markt zur "terra incognita". Glauben Sie mir nicht? Dann will ich Ihnen ein kleines Beispiel erzählen: Vor drei Jahren fragte die Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere im Vorfeld der ersten Reichsbank-Versteigerung mal bei ihrer Bank wegen eines Kredites an. Da legte der Basel-II-taugliche Rating-Computer nach der Bilanzanlayse die Stirn in Falten. Eigenkapitalquote über 90 % und fast 10 % Umsatzrendite überzeugten ihn noch lange nicht, schließlich ist das eine kaum einzuschätzende Branche und da möchte das Blechgehirn 2 % p.a. Risikozuschlag extra haben.

"Warum nehmen Sie den Kredit nicht selbst auf und leiten das Geld an die Firma weiter?", fragte mich da mein sehr kundenorientierter und deshalb inzwischen von der Bank weggegangener Kundenberater, "Bei Ihnen privat können wir mit Null Risikozuschlag arbeiten." Und warum will das Blechgehirn bei mir keinen Risikozuschlag? Weil ich ein so tolles Wertpapierdepot habe. Und woraus besteht das Depot weitgehend? Genau: Aus der Mehrheitsbeteiligung an eben jener AG, der das Blechgehirn am liebsten gar keinen Kredit geben würde ...

Die frühere Fehlbarkeit des Menschen wird bei Basel II durch die Dummheit des Computers ersetzt. Die Ausfallquote wird am Ende keinen Deut kleiner sein, aber das schöne ist: Es war dann keiner mehr schuld. Ziemlich typisch für eine Zeit, bei der die Sozialisierung von Schuld und Verantwortung ganz groß in Mode ist, ebenso wie der Glaube, der Staat könne und müsse alles regeln. Man glaubt, mit immer mehr Regulierung mehr Sicherheit schaffen zu können. Weit gefehlt. Damit machen wir nur das System immer unproduktiver und vernichten Wohlstand. Egal ob Beamter oder Kreditüberwacher: Ein Bürokrat produziert nichts, was man benutzen, aufessen, genießen oder sich daran erbauen könnte oder was wenigstens besoffen macht.

Der Niedergang der Dienstleistungskultur in unseren Banken ist geradezu symptomatisch für die Auswirkungen krankhafter Überregulierung. Noch ein Beispiel gefällig? Daß unser früherer Großaktionär AHAG Wertpapierhandelsbank AG im Prinzip zahlungsunfähig war, wussten wir seit April 2001: Jeden Monat versuchte uns die AHAG anzupumpen, weil sie am Monatsende keine Gehälter mehr  zahlen konnte. Jeden Monat lieferte die gleiche mit einer Banklizenz ausgestattete AHAG der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) mit irrsinnigem administrativen Aufwand viele Aktenordner voller Zahlenkolonnen. Und wofür? Mehr als ein ganzes Jahr später hatte die BAFin die Zahlungsunfähigkeit immer noch nicht bemerkt. Regulieren und beaufsichtigen bedeutet eben noch längst nicht verstehen.

Mehr als ein Gefühl subjektiver Sicherheit beim regulierungsgläubigen Bürger vermag das System nicht zu erzeugen, tatsächliche Sicherheit jedenfalls ganz bestimmt nicht. Nur die Politiker können sich auf die Schulter klopfen und sagen: Aber wir haben doch alles getan, was möglich ist ...

Genau wie sich die versammelte Gemeinde der Bankvorstände heute auf die Schulter klopft und sagt: Im Zeichen von Basel II und Ratingagenturen können wir doch gar nicht mehr anders. Wirklich nicht? Läßt sich Ihre Marktposition denn dadurch verbessern, daß Sie als Sparkassenvorstand eisern Ihren Karpfenteich abschotten und gegen jeden Privatisierungsgedanken wettern? Daß Sie als Vorstand einer Großbank wie Don Quichote gegen das angeblich Ihre Marktchancen behindernde Drei-Säulen-System reiten? Daß Sie Ihre Kundenberater - weil es das System Basel II so will - jeglicher Kompetenz und Handlungsfähigkeit berauben und aus Sicht eines Kunden wie mir zum Durchlauferhitzer für Sprechblasen degradieren? Das verdienen Ihre tüchtigen Leute nicht!

Sie kämpfen da nämlich auf den falschen Kriegsschauplätzen, sehr verehrte Bankvorstände. Kämpfen Sie lieber gegen Basel II und gegen die BAFin. Es müssen sich nur alle einig sein, dann kriegen Sie die schon klein. Kämpfen Sie doch auch zur Abwechslung mal wieder auf dem Markt. Riskieren Sie wieder mal was. Unglaubliche Marktanteilsgewinne wären ihr Lohn! Busladungen neuer Kunden würden sich verdutzt die Augen reiben, daß sich plötzlich wieder jemand für sie interessiert. Ich weiß: Verkaufen ist schwer. Doch wenn die Banken ihre Probleme lösen wollen, hilft kein Lamentieren über die Strukturen des Marktes. Die sind nämlich nun mal so wie sie sind. Statt dessen muß man im Inneren der Banken die Entwicklungen der letzten 10 Jahre weitgehend rückgängig machen, Bürokratie zurückbauen und vor allem die Kunst des Marketing (wieder) erlernen.

Aber bitte nicht so dumpfbackig wie eine große englische Bank, die plötzlich zu der (völlig zutreffenden) Erkenntnis gekommen war: Call-Center sind ein großer Mist, weil sie der Kunde als Orte organisierter Inkompetenz wahrnimmt und sich schaudernd abwendet. Auf großen Plakaten in der Londoner U-Bahn warb das Institut: "Neu! Bei uns können Sie ab sofort Ihren Kundenberater in Ihrer Filiale direkt auf seiner Durchwahl anrufen!" Das ist ja der Wahnsinn. Und ich als provinzieller Banklehrling der 70er Jahre hatte geglaubt so etwas wäre selbstverständlich und gewiß keiner Erwähnung wert.

Unglaublich, aber wahr: Wohin ich auch blicke, entdecke ich unter den Großkopfeten der Banken alles mögliche, nur keine eingefleischten Verkäufer-Typen oder Marketing-Fachleute. Sollte es da draußen doch einen geben: Outen Sie sich und schreiben Sie mir! Sie kriegen dann von mir höchstpersönlich eine Aktie der AG für Historische Wertpapiere geschenkt.

Auf Besserung in der deutschen Kreditwirtschaft hoffend

Ihr  Jörg Benecke



© Jörg Benecke, 2007