Ein komisches Gefühl
aus der Feder von Jörg Benecke,
Vorstand der Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere, Wolfenbüttel

Vor gut einem Jahr haben wir überlegt, wie wir Ihnen die große Bandbreite unserer Historischen Wertpapiere am besten präsentieren können. Wie Sie den besten Nutzen aus den erweiterten Möglichkeiten unserer neuen EDV ziehen können - farbige Abbildungen und informative Beschreibungen zu jedem Wertpapier inclusive.

Ein märchenhafter Katalog sollte es werden. Der Titel “1001 Wertpapiere” stand dafür: Ein märchenhaftes Angebot wie aus 1001 Nacht wollten wir Ihnen mit diesem neuen Katalog-Typ präsentieren. Natürlich hat unser Grafiker das bei der Gestaltung der Titelseite optisch umgesetzt: Geheimnisvoll, orientalisch, auch optimistisch sollte sie wirken. Aus einer Reihe von Variationen haben wir dann die Titelseite ausgewählt, die Sie vom Katalog “1001 Wertpapiere” seitdem kennen. Dieser Entwurf begeisterte damals alle von uns befragten Fach- und Nichtfachleute gleichermaßen.

Und nun? Jeden Abend im Fernsehen die Bilder von Bomben auf Bagdad. Von toten Kindern, Frauen, Männern, Soldaten. Von schrecklichen Zerstörungen, schwarzen Rauchwolken, von einem Land, dessen Oberfläche genauso verwüstet wird wie die Seelen der dort lebenden Menschen. Das schöne, geheimnisvolle Gesicht des Morgenlandes ist zerstört. Die häßliche Fratze des Krieges trat an seine Stelle.

Ein komisches Gefühl beschlich mich, als ich den letzten Katalog zur Hand nahm, um die neueste Version zu gestalten, die Sie eben gerade in der Hand haben. Ich schaute das Titelbild an, dachte an die allabendlichen Bilder im Fernsehen, und fragte mich: Wie paßt dazu eine prächtige Moschee im Glanz der Morgensonne, ein Mädchen, das uns geheimnisvoll ansieht, ohne Furcht im Blick vor ihrem christlichen, westlichen Betrachter?

Konnte ich das denn so lassen in diesen Zeiten? Die Antwort haben Sie in der Hand. Es ist eine sehr bewußte Antwort. Die Idee, die wir mit diesem Katalog hatten, ist langfristig angelegt. Vom aktuellen Tagesgeschehen kann sie überlagert werden. Trotzdem bleibt die Idee gut, und bei der Verfolgung langfristiger Strategien durften wir uns nicht von den aufwühlenden Ereignissen dieser Tage überwältigen lassen.

Die Wunden werden heilen - Gott sei Dank. Von den unsäglichen Rrrummsfelds dieser Welt wird in ein paar Jahren niemand mehr sprechen. Von unserem schönen Katalog vielleicht schon - denn wir wissen, wie viele Sammler ihn aufheben und als Nachschlagewerk nutzen. Manche lassen sich beim Buchbinder sogar noch die einzelnen Jahrgänge schön einbinden. Deshalb mußte dieser Katalog sein unverwechselbares Gesicht behalten. Der Krieg kann vieles zerstören, dachte ich mir, aber nicht meine Überzeugungen.

Zu diesen Überzeugungen gehört, daß der Orient bezaubernd ist. Die Wiege aller Kulturen steht im alten Zweistromland. Freundliche Menschen leben dort, die mit dem Rest der Welt in Frieden leben möchten. Nathan der Weise - das friedliche Zusammenleben vernünftiger Menschen, egal ob Moslem, Jude oder Christ: Nie war der Klassiker von Friedrich Schiller aktueller als heute. In meiner Schulzeit fragte ich mich, was uns die Lehrer denn bloß mit der Lektüre dieses “angestaubten Schinkens” vermitteln wollten, erwarb vorsichtshalber nur das billige Reklam-Heftchen. Heute endlich weiß ich es. War es vielleicht unbewußter Neid auf die uns anerzogenen humanistischen Ideale, der in Rumsfields törichten Worten vom “alten Europa” mitschwang?

Unser Bild von anderen Völkern, anderen Religionen dürfen wir uns nicht von den wenigen Extremisten zerstören lassen, deren Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Religionsgemeinschaft eine reine Zufälligkeit ist. Solche Extremisten gibt es überall. Nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch in “God’s own country”. Und zwar erschreckend viele. All die unschuldigen Menschen können nichts dafür, daß es zufällig fanatische Moslems waren, die die Türme des World Trade Centers zum Einsturz brachten. In San Francisco würde jedes Erdbeben größere Zerstörungen anrichten, doch noch nicht einmal George Bush käme wohl hinterher auf die Idee, gegen den Schöpfer zu Felde zu ziehen - auch wenn ihm sonst wesentliche Eigenschaften eines Christenmenschen fehlen (was die führende Vertreterin einer großen christlichen Partei wohl noch nicht gemerkelt hat).

Leider besitzen nicht alle Menschen diese wunderbare Fähigkeit, die Sammler Historischer Wertpapiere durch die Beschäftigung mit ihrem schönen Hobby ganz zwangsläufig erwerben: Wir verstehen es, lange Zeiträume zu betrachten, Für und Wider im großen Zusammenhang abzuwägen, über den Tellerrand hinauszublicken. Vor allem aber kennen und verstehen wir andere Zeiten, andere Denkweisen, andere Kulturen, denn die steigen ja bildlich gesprochen zu uns auf, wenn wir unsere Alben aufschlagen.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Osterfest. “Der Friede des Herrn sei mit Euch.” Selten hatte dieses Wort, das uns sonst leider nur noch aus der Kirche nachklingt, größere Bedeutung. In wenigen Tagen feiern wir die Auferstehung Jesu Christi. Möge auch der Frieden bald wiederauferstehen.

Herzliche Grüße aus Wolfenbüttel

Ihr Jörg Benecke


© Jörg Benecke, 2003
erschienen als Vorwort zu dem Katalog "1001 Wertpapiere"